Valentina
Wie ich zur Mamma meiner Tochter wurde.
(Eine aussergewönliche Geschichte aus dem Alltag von gynpoint)
Am 22. August 2021 um 21:58 Uhr kam Valentina zur Welt. Zu Hause.
Die Hausgeburt war ungeplant. Meine “Hebamme” war mein Partner.
Kurz vorweg:
Ich hatte während der gesamten Schwangerschaft nie Angst vor der Geburt. Meine Einstellung zur Geburt war “es wird schon alles gut gehen und falls nötig, kann ich eventuell nach Analgetika fragen”. Ich habe auf meinen Körper vertraut und darauf, dass ich, vom Fachpersonal im Spital, bedarfsgerecht unterstützt werde.
Auf Empfehlung meiner Gynäkologin, Dr. Alina Staikov, habe ich in der gynpoint Praxis, gemeinsam mit meinem Partner, einmalig die angebotene Hebammensprechstunde besucht – wir sind dabei kurz auf den Ablauf der Geburt eingegangen, mehrheitlich ging es aber um die Beantwortung unserer Fragen zu nachgeburtlichen Themen. Dass aber genau dieser kurze Gesprächsteil von grosser Bedeutung für meinen Partner sein wird, war uns damals noch nicht klar!
Während der ersten sechs Monate habe ich sehr viel Sport gemacht, Skitouren und Klettern. Dann wurde ein verkürzter Muttermund festgestellt – ich habe daraufhin, auf Anraten meiner Gynäkologin, keinen Sport mehr gemacht. Ich hatte nach dieser Information für mehrere Wochen eine verstärkte Sorge um mein Kind, aber vor allem, dass ich womöglich zu wenig vorsichtig gewesen sei, meinem Kind und Körper gegenüber. Zur Arbeit bin ich weiterhin, bis zum errechneten Termin, im 50% Pensum gegangen.
Die Geburt
Der errechnete Termin war der 20. August. Es blieb ruhig.
Am 21. August habe ich immer noch keine Anzeichen auf eine bevorstehende Geburt wahrgenommen – ich beschloss mit meinem Partner wandern zu gehen, da ich jetzt über dem Termin war, musste ich ja keine Angst mehr haben, wegen einer Frühgeburt.
Am Abend des 21. August spürte ich ein ganz leichtes Ziehen in meinen Leisten, irgendetwas war anders als sonst, nicht nur das Ziehen im Unterleib – ich hatte es plötzlich im Gefühl, und war mir dessen ganz sicher, dass ich mein Kind bald in meine Arme schliessen darf.
Am Vormittag vom 22. August spürte ich dasselbe Ziehen und krampfartiges Unwohlsein in meinem Unterbauch, wie ich es von vor dem Beginn meiner Periode kenne. Sofort habe ich meinen Partner darüber informiert. Wir haben für diesen Tag keinen Ausflug geplant, sondern beschlossen noch einige Dinge im Haus zu erledigen.
Ab etwa 11 Uhr spürte ich deutlich immer wieder, mal stärker mal schwächer, die krampfartigen Unterbauchbeschwerden, zudem ausstrahlend in die Leisten. Sie waren jedoch sehr unregelmässig und gingen meist rasch vorüber. Ausserdem konnte ich leichte Blutspuren in meinem Slip feststellen. Mein Partner begann für sich eine kleine Tasche, neben der meinen, parat zu stellen.
Da wir unsicher waren, wann der richtige Zeitpunkt wäre um ins Spital zu gehen, rief ich um 12:19 Uhr das erste Mal dort an. Ich schilderte meine Situation – die Hebamme sagte mir es handelt sich anfangs um sogenannte Senkwehen, ich könne noch zu Hause bleiben, müsse mir auch wegen der leichten Blutung keine Sorgen machen. Sie empfiehlt mir ein Bad zu nehmen.
Ca. 13:30 Uhr: mein Partner und ich haben uns etwas Leckeres zum Zmittag gemacht – zwischendurch immer wieder in unregelmässigen Abständen Kontraktionen (etwa alle 7-15 Minuten, die Dauer war dabei immer länger als 30 Sekunden), ich habe kurz innegehalten, konnte es gut aushalten und als es vorüber ging, mit dem weiter gemacht, womit ich gerade beschäftigt war. Ein Bad nahm ich nicht.
Die Abstände verringern sich zwischendurch, 5-7 Minuten von der einen zur nächsten, aber immer noch mehrheitlich sehr unregelmässig.
Um etwa 15:30 Uhr hatte ich plötzlich eine extrem starke Kontraktion, die Schmerzen strahlten in meine Oberschenkel aus. Prompt stiegen mir Tränen in die Augen. Nach etwas mehr als einer halben Minute war der Schmerz vorbei.
Mein Partner rief um 15:41 Uhr erneut die Hebamme im Spital an – er beschrieb die Situation und holte mich ans Telefon, ich führte ein längeres Gespräch (etwa 10 Minuten), spürte in dieser Zeit einmal erneut eine Kontraktion, diese war aber sehr schwach und gut aushaltbar für mich. Die Hebamme meinte es seien keine Eröffnungswehen, die Abstände sind teilweise noch zu lang und es gibt keine Regelmässigkeit. Sie sagte mir ich werde es spüren, wenn es “los geht”, falls ich mich unsicher zu Hause fühle könne ich natürlich ins Spital kommen, es wird aber sicher noch viele Stunden dauern und so weiter gehen und laut ihr sei es noch nicht notwendig. Sie sagte, bei einer Eröffnungswehe könne ich nicht mehr reden. Auch diese Hebamme empfahl mir ein Bad zu nehmen, sie erklärte die Kontraktionen werden dann entweder stärker oder nehmen ganz ab. Da ich so wenige Stunden wie möglich im Spital verbringen wollte und die Schmerzen mehrheitlich gut tolerabel waren, beschloss ich weiter zu Hause zu bleiben und den Rat, ein Bad zu nehmen, umzusetzen.
Ca. 16 Uhr: mein Partner lies mir die Wanne ein, ich lag bei Lavendelduft und meiner Lieblingsserie in der Wanne. Die Kontraktionen waren kaum zu spüren. Nach ca. einer Stunde habe ich mich relativ entspannt ins Bett gelegt und Serie geschaut. Bereits um 17:30 Uhr habe ich wieder erste stärkere Kontraktionen gespürt, aushaltbar aber trotzdem unangenehm – die Abstände waren wieder länger als vor dem Bad.
Ca. 19:30 Uhr: mein Partner und ich essen zu Abend. Ich telefoniere ausserdem mit meiner Mutter. Ich kann das Abendessen trotz zunehmender Schmerzen geniessen. Wir legen uns um ca. 20:30 Uhr ins Bett, wir denken, dass wir diese Nacht wohl nicht zu Hause sind und wollen uns jetzt noch etwas ausruhen.
Ab ca. 20:50 Uhr sind die Abstände zwar immer noch unregelmässig (5-10 Minuten) aber sehr schmerzhaft, jede Kontraktion ist schmerzhafter als die vorherige. Die Gesamte Beckengegend schmerzt, auch immer ausstrahlend in Leiste und Schenkel. Ich kann nicht mehr liegen und laufe bei jeder Kontraktion sehr unruhig durch die Wohnung, ich weine, lache und schimpfe und habe jedes Mal das Gefühl brechen zu müssen. Ich bekomme Angst, Angst, dass ich den Schmerz nicht aushalte, wenn es “wirklich” losgeht, da ich jetzt schon so schmerzgeplagt bin. Sobald der Schmerz vorüber war, habe ich mich wieder ins Bett gelegt.
Um 21:20 Uhr beginnt mein Partner die Abstände mit einer Stoppuhr zu messen, plötzlich geht alles ganz schnell, ich kann kaum noch unterscheiden wann eine Kontraktion aufhört und die nächste beginnt.
21:34 Uhr: mein Partner ruft im Spital an, er sagt, dass wir jetzt losfahren wollen, wir denken es sei nun der richtige Zeitpunkt um ins Spital zu fahren. Ich möchte noch auf die Toilette gehen, plötzlich ist meine Hose total blutverschmiert, auf der Toilette sitzend habe ich das Gefühl, dass etwas “herausdrückt”. Ich gehe aus dem Badezimmer, bin aufgewühlt, überlege was ich jetzt zur Fahrt anziehen soll, ich will nichts schmutzig machen. Von einem Moment zum anderen kann ich nicht mehr, ich lege mich auf den Boden und rufe: “Ich muss pressen, ich kann nicht mehr laufen, ich glaube das Baby kommt”; mein Partner antwortet völlig erschrocken: “Das geht nicht, wir müssen los, du kannst jetzt nicht pressen”.
21:42 Uhr: mein Partner ruft erneut im Spital an, er schildert der Hebamme die Situation, er bittet darum einen Rettungswagen zu schicken.
Die Hebamme erkundigt sich, ob man den Kopf schon sieht – er fragt verwirrt: “Haben Sie nicht die Rettung verständigt?”. Die Hebamme gibt an, dass die Sanitäter auf dem Weg seien, sie jedoch vermutet, dass das Baby schneller sein wird. Ich weigere mich anfänglich meine Hose ausziehen.
Wir stellen den Anruf auf Lautsprecher. Mein Partner denkt daran die Haustür aufzuschliessen, damit die Sanitäter in die Wohnung kommen können. Ich rate ihm sein Oberteil auszuziehen, damit er das Baby direkt auf seine Haut legen kann, falls die Sanitäter nicht rechtzeitig da sind, um es mir zu geben, nachdem die Nabelschnur durchtrennt wird. Die Hebamme gibt immer wieder einfache essenzielle Handlungsaufforderungen. Mein Partner holt viele Handtücher und legt diese bereit. Ich habe starke Kontraktionen, halte meine Hand vor meinem Mund, um nicht allzu laut zu sein, ich habe ein extremes Bedürfnis zu pressen – ich lasse es einfach zu. Ich weiss nicht, wie ich mich fühle, zusätzlich zu den Schmerzen, bin ich aufgeregt, ängstlich und traurig gleichzeitig. Ich spüre wie meine Fruchtblase platzt. Ich rufe immer wieder ins Telefon und erkundige mich bei der Hebamme ob jetzt etwas ganz arg schief gehen kann, sie beruhigt mich. Mein Partner ist auch sehr ruhig und rational. Er nimmt das Köpfchen mit seinen Händen entgegen. Als das Baby bis zum Bauchnabel draussen ist befolgt er die Anweisung der Hebamme das Kind herauszuziehen. Ich höre ihn: „Hier ist überall Nabelschnur.“ Unmittelbar danach höre ich es schreien, ich sehe die Erleichterung im Gesicht meines Partners. Ich rufe “schnell, schau die Uhrzeit, wie spät ist es!!“.
21:58 Uhr. Vier Presswehen.
Er verkündet mit einem Riesenlächeln im Gesicht: “Schatz! Schatz! Wir haben eine Valentina.” Ich weine. Erschrocken und überrascht stelle ich fest, dass mein Bauch verschwunden ist, er ist einfach weg. Nach etwa 8-10 Minuten kommen die Sanitäter in den Wohnungsflur, strahlende Gesichter – sie unterhalten sich kurz mit der Hebamme. Mein Partner darf die Nabelschnur durchtrennen. Endlich darf ich mein Mädchen halten. Ich weiss immer noch nicht, wie ich mich fühle.
Mit Unterstützung einer Sanitäterin ziehe ich den Bademantel an, ich laufe zu Fuss zum Rettungswagen. Ich spüre erneut Kontraktionen. Die Nachgeburt beginnt. Mein Partner bittet darum das Geschlecht zu verifizieren, da er bei der Geburt durch das Durcheinander wohl verunsichert war, wir mussten lachen. Wir werden ins Spital gefahren und dort von zwei diensthabenden Hebammen liebevolle empfangen. Die Plazenta stosse ich im Kreissaal aus.
Anmerkung meines Partners:
Es hat mir sehr geholfen, dass uns die Hebamme in der Sprechstunde den technischen Ablauf der Geburt mithilfe eines Beckens und einer Puppe gezeigt hat. Ich hatte so eine Ahnung wann das Kind wie herauskomm bzw. ein besseres Verständnis des genauen Geburtsvorgangs erhalten – es lief genau so ab und ich wusste, dass es richtig ist.
Ich kann mich an so vieles noch so genau erinnern, da ich mit meiner Mutter und einer meiner besten Freundinnen getextet habe. Die letzte Nachricht, die ich versendet habe, bevor ich meinen Sonnenschein in den Armen halten konnte, ging an meine Mama – es war um 21:17 Uhr.