Jeden Monat Messerstiche im Bauch
Der lange Leidensweg vieler Frauen bis zur Diagnose Endometriose. Welche Erfolge Therapien erzielen, was den Kampf gegen die Schmerzen unterstützt und wie sich der Kinderwunsch trotzdem erfüllen lässt.
«Leider dauert es immer noch durchschnittlich sieben bis zehn Jahre vom Auftreten der Symptome bis zur Diagnose», erklärt Dr. Alina Staikov. Die Frauenärztin hat mit der Endometriose-Vereinigung Schweiz ein Aufklärungsprojekt gestartet, wofür 28 Frauen mit dieser noch immer verkannten Erkrankung vor der Kamera standen – jede mit ihrer Geschichte und ihren Emotionen. Dies soll anderen Frauen Mut machen. («Love Letters To My Uterus» kostenlos von www.gesundheit-heute.ch herunterladen)
Frau Dr. Staikov, warum ist Endometriose immer noch zu wenig bekannt?
Eine der häufigsten Beschwerden bei Endometriose sind schmerzhafte Regelblutungen. Viele betroffene Frauen unterschätzen diese. Deshalb suchen sie nicht sofort Hilfe. Bei Endometriose können die Beschwerden jedoch sehr unterschiedlich sein. Wenn eine Frau über Blasen- oder Darmprobleme klagt, aber keine anderen Symptome hat wie starke Menstruationsschmerzen, wird dies nicht immer als Diagnose gewertet. Es ist wichtig, dass Fachleute diesem Zustand mehr Aufmerksamkeit schenken. Chronische und schwere Verläufe sowie eine Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit könnten so vermieden werden. Denn jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter ist von Endometriose betroffen.
Was müssen Frauen mit Endometriose ertragen?
Endometriose ist eine chronisch verlaufende Erkrankung des reproduktiven Alters, bei der sich Gebärmutterschleimhaut-ähnliches Gewebe an untypischen Stellen als Endometriose- Herde ablagert. Die Frauen leiden unter starken Menstruationsschmerzen, die sie etwa als Messerstiche in den Unterleib beschreiben, bis hin zu Ohnmachtsanfällen. Sie haben chronische Unterbauchschmerzen ausserhalb der Periode, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Blasen- und Darmbeschwerden. Manchmal siedeln sich solche Herde auch weit ausserhalb des Beckens an wie zum Beispiel in der Lunge. Die chronischen Schmerzen sind eine grosse Belastung und beeinträchtigen das tägliche Leben erheblich, bis hin zur Arbeitsunfähigkeit. Diese Frauen sind auf grosses Verständnis in der Familie und am Arbeitsplatz angewiesen. Ein grosser Teil der Frauen, bis zu 30 Prozent, leidet unter Unfruchtbarkeit.
«Diese Frauen sind auf grosses Verständnis in der Familie und am Arbeitsplatz angewiesen»
Wie wird eine Endometriose erkannt und behandelt?
Bei der Endometriose gibt es keinen einfachen Test. Bestätigt wird die Verdachtsdiagnose mit einer Bauchspiegelung, der Laparoskopie. Die Endometriose ist eine komplexe Erkrankung, die auch eine komplexe Therapie erfordert. Generell ist ein chirurgischer Eingriff nötig, um die Verwachsungen zu entfernen. Zudem eine Hormontherapie und weitere unterstützende Massnahmen. Eine vernachlässigte Nachsorge nach der Operation birgt aber das Risiko eines Rückfalls. Grob gesagt, hat eine Frau, die nach der Operation keine Therapie erhält, nach fünf Jahren ein 50-prozentiges Rückfall-Risiko. Ein Eingriff ist immer abhängig vom Alter der Frau, ihrer Lebensphase, den Symptomen und Befunden. Gleiches gilt für die Hormontherapie. Möchte eine Frau Kinder haben oder befindet sie sich vor der Menopause?
Und wenn Kinderwunsch besteht?
Im Hinblick auf die Endometriose ist es besonders wichtig, dass diese Frauen aktiv und frühzeitig auf ihren Kinderwunsch angesprochen werden. Denn nicht nur chronisch-entzündliche Veränderungen führen zu organischen Ursachen, sondern auch immunologische Mechanismen zu einer Verschlechterung der Eizellqualität. Durch sogenannte Endometriome (Endometriosezysten) können die Eierstöcke geschädigt werden. Einerseits durch die grossen Zysten selbst und nicht rechtzeitig operiert, andererseits durch operative Massnahmen, wenn der Befund zu klein ist und dadurch die angeborene Eierstockreserve, die Eizellen, reduziert wird. Eine Form der Endometriose ist die Adenomyose, bei der sich die Gebärmutterschleimhaut ausdehnt und tief in die Muskulatur drückt. Bis zu 50 Prozent aller Frauen, die sich einer Kinderwunschbehandlung unterziehen, leiden unter Endometriose.
Was kann die Frau zusätzlich gegen die Schmerzen machen?
Den Kampf gegen die chronischen Schmerzen können Ernährungsberatung, Alternativmedizin wie TCM, Physiotherapie und sportliche Aktivitäten unterstützen. Eine psychologische Beratung dient der Bewusstseinsbildung sowie der Erarbeitung von Mechanismen, um den Schmerz-Teufelskreis zu durchbrechen und alle anderen Therapien zu stärken.
Sollte sich auch in der Politik etwas ändern?
Andere Länder sind da bereits weiter. Unbedingt. In Deutschland fordert eine 19-jährige Betroffene nun eine nationale Strategie für mehr Aufklärung und Forschungsförderung. Nach wenigen Tagen haben bereits über 85’000 Menschen die Petition unterzeichnet. Auch Frankreich hat eine nationale Strategie angekündigt. In der Schweiz wird zwar auch geforscht, es besteht aber dringender Bedarf an einer nationalen und, im weiteren Sinne, internationalen Strategie zur Sensibilisierung, Aufkl äung und Forschung. Ich hoffe sehr, dass wir dieses Bewusstsein in der Bevölkerung und bei den Fachgesellschaften bald erreichen. Auch wenn der Weg der Therapie lange dauert, kann eine rechtzeitige, ärztliche Betreuung viel Lebensqualität retten – und viel Leid ersparen.
Myome: Wenn Knoten dem Kinderwunsch im Weg stehen
Wie bei der Endometriose wird auch bei Myomen – das sind Muskelknoten, die sich durch die Muskulatur der Gebärmutter bilden – eine Häufung und genetische Veranlagung beobachtet. Auch hormonelle Einflüsse und Umweltfaktoren spielen eine Rolle. Bei der Endometriose haben wir es jedoch mit einem organübergreifenden Verlauf zu tun, wenn keine Massnahmen ergriffen werden und solange die Frau Hormone produziert. Bei Myomen handelt es sich um einen abgrenzbaren Prozess. Diese Knoten, die sich im Inneren sowie an der Oberfläche der Gebärmutter zur Bauchhöhle hin oder zur Gebärmutterhöhle bilden, sind nicht fähig, andere Organe zu schädigen. Sie verbleiben in ihrer Kapsel und können nur wachsen. Sie verursachen jedoch Symptome wie eine starke und schmerzhafte Menstruation sowie Blutarmmut als Folge. Die Myome sind im Ultraschall gut erkennbar. Die Therapie richtet sich nach der Grösse, der Art des Myoms, seiner Lage, der Wachstumstendenz, dem Kinderwunsch sowie der Lebensphase der Frau. Bei einem grossen, möglicherweise fruchtbarkeitsstörenden, Myom ist eine Operation angezeigt. Ebenfalls bei Myomen mit Wachstumstendenz und Beschwerden wie starken Blutungen oder Druck auf die Blase mit Harndrang und Inkontinenz, Druck auf den Darm mit Verdauungsproblemen und Verstopfung oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Je nach Grösse und Lebensphase erfolgt die Myom-Entfernung durch eine Bauch- oder Gebärmutter-Spiegelung oder die Gebärmutter- Entfernung. Bei kleineren Befunden lindern Hormontherapien die Symptome und beeinflussen das Wachstum.
Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF 1.
veröffentlicht: 23.02.2022, gesundheitheute
Folgen sie den Link zum Interview:
https://gesundheit-heute.ch/2022/02/23/jeden-monat-messerstiche-im-bauch/